Verschenkst du deine Arbeit?

Verschenkst du deine Arbeit?

Ich möchte den heutigen Blogpost mit einer Facebook-Frage eines amerikanischen Kollegen beginnen:

“Hallo, alle zusammen! Schickt ihr nach einer Live-Regie-Session einfach das gesamte Audio der Session oder bereinigt ihr es (entfernt Chaos, Dialoge, Versprecher usw.)? Ich schicke zwei Audiodateien: das unbearbeitete und das bereinigte/bearbeitete (alle oben genannten Dinge entfernen und “Stacks” anwenden). Die Kunden wissen das wirklich zu schätzen, aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht zeitaufwändig ist (und ich berechne nichts für die Audiobearbeitung). Bei dem einen Kunden, mit dem ich gerade gearbeitet habe, klang es so, als ob er keinen Tontechniker hätte, also fühlte ich mich “verpflichtet”, es zu tun. Wie machen ihr das? Thank you!”

Ich bin sicherlich nicht der einzige, der regelmässig mit Kundenfragen wie:

  • Wir haben da noch ne kleine Sache. Kannst du das eben mit einsprechen?
  • Die Übersetzung liegt uns noch nicht vor. Können Sie eben…?
  • Kannst du die deutsche Übersetzung noch eben prüfen? Du bist doch native speaker…
  • Falls erforderlich, kannst du die Übersetzung noch zeitlich anpassen bevor du den Text einsprichst?

konfrontiert wird. Natürlich kann ich es, informiere den Kunden dann auch gleichzeitig über meinen entsprechenden Satz. Selten, und nur bei geringem Aufwand mache ich kleine Korrekturen kostenlos.

Verschenkst du als Sprecher/in deine Arbeit?

Auf die eingangs zitierte FB Frage hat mein amerikanisch-/niederländischer Freund und Kollege Paul Strikwerda kürzlich geantwortet. Ich darf hier seine ins Deutsche übertragene Antwort wiedergeben und habe ein paar eigene Gedanken zu dem Thema einfliessen lassen.

Bevor du Paul’s Antwort liest, überlege dir, wie du selbst mit dieser Situation umgehen würdest. Sicherlich möchtest du einen guten Eindruck hinterlassen und eine langfristige Beziehung zu dem Kunden aufbauen. Aber wie weit würdest du gehen? Glaubst du, dass es dir “obliegt”, der Tontechniker zu sein, den der Kunde deiner Meinung nach nicht hat?

Hier ist Paul’s Meinung zu oben gestellter Frage:

Erstens –

Wenn es nicht im Vertrag steht, ist nichts “verpflichtend”. Zweitens: Vermute nicht. Vor allem nicht etwas über deine Kunden und deren Budgets. Frage immer.

In einer “remote directed session” per Source Connect, Session Link oder ipDTL z.B., macht sich normalerweise jemand am anderen Ende der Leitung ausführliche Notizen mit Zeitangaben. Sie notieren, wann jeder neue Take beginnt und wann ich einen Fehler mache. Sobald ich anfange, meine Dateien zu bearbeiten und Teile herauszuschneiden, gerät der aufgezeichnete Timecode durcheinander, was die Arbeit des Editors noch zeitaufwändiger macht. (Mehr über Remote Sessions).

Zweitens –

Wende sogenannte “Stacks” (“gestapelte” Effekte) NUR an, wenn der Kunde ausdrücklich darum bittet, und selbst dann solltest du eine saubere Kopie der Originalaufnahme aufbewahren, für den Fall, dass dem Kunden nicht gefällt, wie du den Ton modifiziert hast. Das ist wie bei der Verwendung von Gewürzen beim Kochen. Es ist alles eine Frage des Geschmacks.

Kostenlos ist nicht viel wert

Natürlich haben Kunden in der Regel nichts dagegen, etwas umsonst zu bekommen, aber wir bringen ihnen auf diese Weise bei, es zu erwarten, dass eine aufwendige Bearbeitung inbegriffen ist. Wenn du es also kostenlos machst, wird es für deine Kollegen auch schwieriger, zusätzliches Geld zu verlangen, wenn der Kunde vollständig bearbeitete Dateien wünscht.

Wenn du dich entscheidest, die Bearbeitung mit anzubieten, dann schlüssele dein Honorar entsprechend auf, so wie du auch eine Studio-, eine Nutzungs- und eine Buyout-Gebühr angibst. Auf diese Weise weiß der Kunde, wofür er zahlt und warum unsere Dienstleistungen nicht für ‘n Appel und ‘n Ei zu haben sind. 😉

Denk daran: was die Leute umsonst bekommen, ist nie so viel wert wie das, wofür sie bezahlen.

Vergleiche wagen

Wenn sich das alles für dich ungewöhnlich anhört, hilft es, Sprecher-Dienste mit anderen Dienstleistungen, die Menschen brauchen zu vergleichen.

Ich arbeite gerade mit einem Auftragnehmer zusammen. Er hat noch nie etwas getan, ohne es mir in Rechnung zu stellen. Wenn er seine Arbeit verschenken würde, wäre er sehr beschäftigt und würde sehr wenig Geld verdienen. Warum sollte das bei Sprachaufnahmen anders sein?

Ich verstehe zwar, dass du deine Kunden so gut wie möglich zufrieden stellen möchtest, aber es gibt eine Grenze dessen, was man von dir erwarten kann. Wenn ich meinen Handwerker damit beauftrage, die Küche zu renovieren, finde ich es nicht fair, von ihm zu erwarten, dass er für denselben Betrag das Bad mit renoviert. Das ist nicht fair, und es ist auch respektlos gegenüber seiner Zeit und seinem Fachwissen.

Ein weiteres Beispiel

Meine Frau ist Berufsmusikerin. Wie die meisten ihrer Kollegen hat sie schon viele Hochzeiten mit gestaltet. Wenn sie im Vertrag kein klares Zeitlimit festlegt, erwarten die Gäste von ihr, dass sie spielt, bis der letzte betrunkene Gast gegangen ist und denken sich nichts dabei.

Wenn man das, was man tut, liebt, ist es ja nicht einmal Arbeit, warum also den Musiker überhaupt bezahlen? Er sammelt Erfahrungen und kann sie in seinen Lebenslauf einfügen!

Fazit –

Wenn wir uns selbst nicht richtig einschätzen können, können wir auch nicht erwarten, dass andere uns richtig einschätzen. Wie ein sehr weiser Mensch einmal sagte:

Wir bringen den Menschen bei, wie sie uns behandeln und was wir wert sind.

Danke

Nochmal vielen Dank an Paul und Nethervoice!

One thought on “Verschenkst du deine Arbeit?

  1. Herzlichen Dank für diese wunderschöne Übersetzung, Bernard. Ich schreibe jeder Woche einem neuen Blogpost auf meine Website: nethervoice.com. Bis bald!

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